Bundesfachstelle Barrierefreiheit

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Interview mit Dr. Volker Sieger, Leiter der Bundesfachstelle Barrierefreiheit: „Nächster Schritt ist die kontinuierlich sichtbare barrierefreie Kommunikation in den Medien“

Wie steht es um die barrierefreie Kommunikation über Corona in den öffentlich-rechtlichen und privaten Medien? Im Interview berichtet Dr. Volker Sieger, Leiter der Bundesfachstelle Barrierefreiheit, an welchen Stellen es Schwierigkeiten gibt und verrät, wieso die Barrierefreiheit kein Hindernis für guten Journalismus ist.

Herr Sieger, Sie haben die Kommunikation der Behörden zum Thema Corona-Virus von Anfang an verfolgt. Wie barrierefrei war und ist diese Kommunikation?

Sieger:

Ich musste feststellen, dass der Informationsfluss der Behörden Menschen mit Behinderungen leider nicht immer erreicht hat. Menschen mit kognitiver Einschränkung zum Beispiel benötigen Informationen in Leichter Sprache. Diese waren anfangs noch gar nicht zu finden.
Auch für gehörlose Menschen gab es zunächst keine direkt zugänglichen Informationen, also Übersetzungen in Gebärdensprache in Echtzeit. Wenn man hingegen in den TV-Nachrichten die Berichte aus anderen Ländern sah, wo Regierungsvertreter öffentliche Statements abgaben, sah man oft einen Gebärdensprachdolmetscher/-in neben dem Redner stehen. Das gab es in Deutschland nicht. Doch inzwischen hat sich die Lage deutlich verbessert: das Robert Koch-Institut beispielsweise hat bei seinen Pressekonferenzen einen Gebärdensprachdolmetscher/-in mit im Raum.

Wo meinen Sie ist die Ursache für dieses Problem?

Sieger:

Wir alle, auch die Behörden und Fernsehsender, sind von den Ereignissen zu Corona ‚überrannt‘ worden. Es galt, viele Entscheidungen zu treffen und wesentliche Informationen aufzuarbeiten und den Bürgerinnen und Bürgern zu übermitteln. Dabei wurde zunächst nicht daran gedacht, dass der Zugang zu Informationen im Text oder im Bild für alle direkt erfassbar sein muss.

Inzwischen, auch nach den Protesten vieler Behindertenverbände, hat sich der barrierefreie Informationsfluss vonseiten der Behörden verbessert. Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Sieger:

In der Tat, es gibt mehr und mehr Informationen in Deutscher Gebärdensprache sowie Gebärdensprachdolmetscher/-in, die live übersetzen, aber auch Untertitelung etwa von Videos. Auch Informationen in Leichter Sprache sind vermehrt abrufbar. Aber es ist zum Beispiel so: Die Information darüber, wann eine Sendung im TV mit Gebärdensprachdolmetscher/-in läuft, ist schwer zu finden. Auch vertreten die Fernsehsender hier offensichtlich unterschiedliche Philosophien. Ein Beispiel dafür ist die Ansprache der Bundeskanzlerin am 18. März. Auf dem Nachrichtensender n-tv, der die Rede zuerst zeigte, konnte die Ansprache nur in einer nicht barrierefreien Version gesehen werden. Die Ausstrahlung im ZDF erfolgte ebenfalls in einer nicht barrierefreien Version. Bei der Tagesschau um 20 Uhr wurden Ausschnitte der Ansprache von Phoenix während der laufenden Tagesschau simultan gedolmetscht. Im Anschluss wurde auf Tagesschau24 die gesamte Rede der Kanzlerin von der Gebärdensprachdolmetscher/-in, die vorher auf Phoenix die Tagesschau gedolmetscht hat, simultan übersetzt. Das ist vermutlich auch kurzfristigen Entscheidungen geschuldet. Aber seien wir ehrlich: Auch auf Internetseiten sind die aktuellen Informationen in Gebärdensprache und Leichter Sprache meist nicht schnell auffindbar.
Zudem wird nach wie vor nur selektiv barrierefrei berichtet. Inhaltlich geht es dabei meist um die Krankheit an sich, die Fallzahlen, die Verhaltensregeln für die Bevölkerung oder die Maßnahmen der Regierung. Genauso wichtig ist aber zum Beispiel, dass alle jetzt neuen Informationen, etwa zur Unterstützung von Firmen und Selbständigen oder zu den Regelungen bei Mietrückständen, zeitnah in barrierefreien Formaten verfügbar sind.

In den Fernseh-Nachrichten von öffentlich-rechtlichen oder privaten Sendern waren bei den Einblendungen von Politiker-Reden in der Regel keine Gebärdensprachdolmetscher/-in zu sehen – obwohl sie in Wirklichkeit manchmal direkt neben dem Redner standen. Wie kommt es dazu?

Sieger:

Ja, hier ist das Problem, dass diejenigen Journalisten oder Kameraleute, die die Aufnahmen machen, selbst über den Bildausschnitt entscheiden. Und bisher wird von dem ein oder anderen ein Gebärdensprachdolmetscher/-in im Bild noch als ‚störend‘ empfunden. Teilweise wird hier auch mit der Pressefreiheit argumentiert – die ist jedoch kein Grund, um Barrierefreiheit nicht zu ermöglichen. Das heißt: Natürlich sollen Journalisten über ihr Bild bestimmen können. Aber zu ihrem Informationsauftrag gehört auch, die Informationen allen zeitnah zugänglich zu machen. Gerade die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender müssen hier Vorbilder sein. Ich wünsche mir, dass die Sichtbarkeit von Gebärdensprachdolmetscher/-in und der einfache, barrierefreie Zugang zu Informationen zum Normalfall wird. Der nächste Schritt dahin wäre die kontinuierlich sichtbare barrierefreie Kommunikation in den Medien.